Wer fest damit gerechnet hatte, dass ein Absturz, wie wir ihn am Freitag bei den europäischen Indizes gesehen haben, zwangsläufig eine massive Gegenreaktion auslösen werde, sieht sich zumindest zur Mittagszeit getäuscht. DAX und Euro Stoxx rutschen langsam an die am Freitag markierten Verlaufstiefs heran. Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass sie brechen. Und dann könnte es mittelfristig richtig unangenehm werden. Warum?
Weil es bei diesen Verkäufen weniger darum geht, ob und wann England die EU verlässt und wie man sich dann mit der „Insel“ arrangiert. Es geht darum, dass die EU an sich immer mehr an Reputation verliert, innerhalb wie außerhalb des Staatenverbunds. Der gerade unlängst vom IWF konstatierte Makel, unter Druck die Fähigkeit zur Zusammenarbeit zu verlieren, wiegt schwer. Und für ausländische Investoren ist das ein entscheidender Aspekt bei der Frage, wo ihr Kapital am sinnvollsten investiert ist.
Das Kapital des Auslands könnte abwandern
Man muss sehen, dass wir innerhalb der EU einen anderen Blickwinkel haben. Wir mögen uns ärgern, den Kopf schütteln … aber wir sind eben „drin“ und können das nicht einfach infrage stellten. Investoren aus dem Rest der Welt haben aber sehr wohl die Wahl und sehen mit kritischem Blick, wie nach Griechenland und der Flüchtlingsproblematik nun eine erneute Herausforderung erst einmal nur gegenseitige Schuldzuweisungen auslöst, statt ein Zusammenrücken zur umgehenden Lösung des Problems.
Das ist es, was die EU-Aktienindizes markant Terrain kosten kann … und wovon andere Börsenplätze wiederum profitieren würden. Am Freitag wurde überall erst einmal er Kopf eingezogen, zu sehr hatten sich zu viele darauf verlassen, dass die politischen und medialen Aussagen, der „BrExit“ werde nicht kommen, zutreffen. Aber wenn der Blick des großen Kapitals nun über den Globus wandert … wo könnte er interessiert hängenbleiben?
China? Warum nicht?
An der Wall Street und in China. Ja, China hat Probleme. Aber da geht es nur darum, das Wachstum zu alter Dynamik zurückzuführen. Gegenüber den Schwierigkeiten der EU ein Luxusproblem. Und nachdem die chinesischen Indizes zuletzt schon kräftig unter die Räder kamen, könnte so manche große Adresse eine Chance sehen, aus Europa abgezogenes Kapital dort zu reinvestieren. Wir haben Ihnen dazu den Chart des Hang Seng China Enterprises Index abgebildet. Das ist ein Index, der zwar in Hongkong beheimatet ist, der aber die 40 wichtigsten dort gelisteten chinesischen Unternehmen umfasst. Sein Vorteil: Auf ihn gibt es auch Zertifikate und ETFs.
Wir sehen, dass sich hier ein charttechnisches Dreieck gebildet hat, das am Freitag um ein Haar nach unten verlassen worden wäre. Doch es gelang, den Absturz abzufangen und heute nach schwacher Eröffnung am Ende leicht im Plus zu schließen. Ein hochinteressantes Signal, aber:
Wir würden erst dann zugreifen, wenn der Index diese Ansätze verstetigt, indem er nicht nur ein Verkaufssignal abwenden, sondern auch ein unmittelbar charttechnisches Kaufsignal erzeugen kann. Dazu muss er aus diesem Dreieck nach oben hinaus und mit Schlusskursen über 9.200 Punkten auch die wichtige Widerstandszone aus den Tiefs vom vergangenen Spätsommer und Dezember nebst der knapp darüber verlaufenden 200-Tage-Linie überwinden – dann hieße es hier „Feuer frei“ für die Bullen!