Sehr geehrter Leser,
die Analyse der heutigen wirtschaftlichen Bedingungen ist eine Herausforderung.
Wenn die Weltwirtschaft gesund ist, können Sie die politischen Gründe für diesen Zustand beschreiben und spezifische Aktien und Sektoren identifizieren, die den breiten Markt übertreffen werden.
Sie würden auf Trends wie niedrige Inflation, positive Realzinsen (ein Zeichen für starkes Wachstum aufgrund eines gesunden Wettbewerbs um Mittel) und stabile Wechselkurse hinweisen (was darauf hindeutet, dass Investitionsentscheidungen auf der Grundlage von Fundamentaldaten und nicht auf Spekulationen getroffen werden).
Wenn die Weltwirtschaft schlecht dasteht, ist der Analyseprozess ähnlich, aber mit sehr unterschiedlichen Daten und Prognosen.
Sie würden weit verbreitete Inflation (oder Deflation), hohe Arbeitslosigkeit, sinkendes BIP-Wachstum (oder negatives Wachstum), sinkenden Welthandel und eine Vielzahl schlechter politischer Entscheidungen erwarten, einschließlich hoher Steuersätze, Zölle, Exportsubventionen, Überregulierung und kontraproduktive Politiken.
In beiden Szenarien, ob gut oder schlecht, weiß der Analyst, wie er sich Politikempfehlungen oder Investitionszuweisungen nähern soll.
Was wäre, wenn wir beide Szenarien gleichzeitig hätten?
Das ist eine ziemlich gute Beschreibung dessen, wo die Weltwirtschaft heute steht. Und die USA sind prädestiniert, um den Kontrast zwischen guten und schlechten Nachrichten zu zeigen.
Die USA haben die niedrigste Arbeitslosenquote seit den 1960er Jahren. Reallöhne haben nach Jahren negativer Wertentwicklung endlich begonnen, leicht zu steigen.
Die Inflation ist immer noch zu hoch, aber der Rückgang ist unbestreitbar. Von 9,1 % im Juli 2022 auf 3,2 % im Juli 2023 hat sich die Inflation (gemessen am Verbraucherpreisindex auf Jahresbasis) stark dem Ziel der Federal Reserve von 2,0 % genähert.
Angesichts dieser Entwicklung ist es also kein Wunder, dass einige wichtige Aktienindizes sich neuen Allzeithochs nähern oder diese bereits erreicht haben. Dennoch sind auch die negativen Seiten klar erkennbar.
Die Industrieproduktion der USA geht seit über einem Jahr zurück. Einige Ökonomen behaupten, dass die Produktion ein schrumpfender Teil des US-BIPs sei und dass Dienstleistungen das Wirtschaftswachstum dominieren.
Das stimmt als erste Annäherung, aber es ignoriert die Tatsache, dass die Nachfrage nach Dienstleistungen häufig von denen kommt, die genau in diesem Industriezweig arbeiten – also in Fabriken und an Montagelinien.
Werden Fabriken geschlossen, wird die Nachfrage, die von diesem Personenkreis ausgeht, stark zurückgehen.
Auch die Vergabe von Bankkrediten würde zurückgehen und die Kreditbedingungen würden verschärft. Das bedeutet nicht, dass eine vollständige Kreditklemme bevorsteht oder dass die Wirtschaft abstürzt.
Es bedeutet lediglich, dass ein Trend zu verminderter Liquidität besteht, der wahrscheinlich schlimmer wird, bis er zu Insolvenzen und Schulden mit hohem Ausfallrisiko führt.
Wie sieht es mit der Wirtschaft jenseits der US-Grenzen aus?
Die EU befindet sich bereits in einer Rezession. Japan und das Vereinigte Königreich nähern sich dem Nullwachstum und steuern schnell auf eine Rezession zu.
Innerhalb der EU befinden sich Deutschland und Irland bereits in einer Rezession, während Italien und Frankreich ein Wirtschaftswachstum knapp über null aufweisen.
Eine echte Rezession in China mag unvorstellbar erscheinen, aber wir könnten Zeugen einer solchen werden.
Der Mythos der „Wiedereröffnung Chinas” nach dem Ende der lächerlichen Null-COVID-Politik, wurde von den Analysten solange aufrechterhalten, bis die Daten dies nicht mehr möglich gemacht haben.
Heute bleibt China nicht nur hinter der Erzählung zurück, das Land nähert sich auch der Kontraktion.
Der Punkt ist, wenn die EU, China, Japan, das Vereinigte Königreich und zahlreiche weitere Länder in einer Rezession stecken oder kurz davor stehen, wie kann man dann erwarten, dass die USA dem allen widerstehen?
Die Tendenz weg von der Globalisierung hin zur heimischen Produktion mag in einigen Ländern auf dem Vormarsch sein, aber die Globalisierung ist immer noch der dominierende Weg zur globalen Produktion.
Der gesamte Welthandel mag schrumpfen, aber er macht immer noch einen Großteil des globalen BIP auf einer länderspezifischen Basis aus.
Wie kann die Weltwirtschaft schrumpfen, während die US-Wirtschaft wächst?
Das wird nicht passieren, es sei denn, das US-Wachstum ist so stark, dass es die Weltwirtschaft aus einer kollektiven Flaute herauszieht. Dafür gibt es aber keine Anzeichen. Das ist also das Dilemma.
Mit freundlichen Grüßen
Jim Rickards
P.S.: Den neuen Video-Report „Der neue KI-Wohlstandsgipfel“ des Kollegen Ian King habe ich mir bereits angeschaut. Sie auch? Hier klicken!