Man würde wohl als ziemlich unsteter, flatterhafter Charakter angesehen, würde man sich im Leben so geben, wie sich viele Akteure an der Börse verhalten. Das ist ein entscheidender Grund, weshalb sich viele weniger erfahrene Anleger an dem bisweilen seltsam wirkenden Gebaren der Kurse stoßen: Es ist so unlogisch und unvernünftig in einem Bereich, bei dem man erwarten sollte, dass es im Gegenteil besonders logisch und vernünftig zugeht.
Was daran liegt, dass viele auch große Akteure immer auf irgendetwas warten, was ihnen als Argument dienen kann, zu kaufen oder zu verkaufen bzw. ihren Kurs beizubehalten oder zu drehen. Aber da taucht schon der erste Aspekt auf, der zu überraschendem Kursverhalten führen kann: Wer sucht schon nach Argumenten, die bestätigen, dass man falsch liegt? Man hätte, natürlich, gerne die Bestätigung, dass das, was man bislang getan hat, richtig ist und nicht schlagende Argumente dafür, dass man auf dem falschen Dampfer sitzt. Und das führt dazu, dass man ein ums andere Mal auf irgendwelche wichtigen Daten oder Aussagen wartet … und deren Inhalt dann doch wieder in den Wind schießt.
DAS EIGENE DEPOT BESTIMMT DAS DENKEN
Grundsätzlich werden die Kurse ja von zwei großen Bereichen beeinflusst: Einerseits von den Rahmenbedingungen, d.h. von der Konjunkturentwicklung, den Maßnahmen der Notenbanken, der geopolitischen Lage etc. Andererseits von der Charttechnik mit ihren Trendlinien, Gleitenden Durchschnitten, Widerständen und Unterstützungen. Eigentlich.
Denn ein heimliches, drittes Element ist die eigene Meinung oder eher noch das eigene Depot, die persönliche Ausrichtung. Sicherlich kennen Sie das auch von sich selbst: Wenn Sie bis über die Halskrause in Long-Positionen stecken, sind Sie nicht allzu offen für „bad news“, die Ihnen sagen, dass man doch besser aussteigen und/oder Short gehen sollte. Was dazu führt, dass schon relativ heftige Nachrichten kommen müssen, um einen bestehenden Trend zu brechen, dem ja die Mehrheit folgt – sonst gäbe es ihn nicht. Konkret hieße das:
VON EINEM TERMIN ZUM NÄCHSTEN
Man wartet z.B. auf die heute um 14:30 Uhr anstehenden US-Arbeitsmarktdaten (siehe auch „Thema im Fokus“). Das sind ohnehin wichtige Konjunkturdaten, die aber besonderes Gewicht bekommen, weil die US-Notenbank sie intensiv beobachtet und als eine entscheidende Basis für ihre Entscheidungen sieht. Aber nur, weil alle darauf warten, heißt das nicht, dass man auf die dann auf den Tisch kommenden Zahlen auch deutlich und vor allem logisch reagieren wird.
Je nachdem, ob die Daten der Masse der aktiven (was die passiven Akteure denken, ist ja egal, sie tun ja dann nichts) Akteure recht sind oder nicht, kann es zu den seltsamsten Reaktionen der Kurse kommen. Wären die Daten nämlich nicht „genehm“, kann es sein, dass die Mehrheit logisch reagiert … es kann aber auch dazu kommen, dass einige kapitalstarke Adressen ihre Positionierung verteidigen, indem sie versuchen, eine für sie unerfreuliche Reaktion durch eigenes Dagegenhalten auszubügeln. Das heißt, dass es sofort um 14:30 Uhr zu einem wilden Auf und Ab kommen kann und die Aktienindizes dann in die Richtung davonziehen, die die Mehrheit des dann aktiven Geldes (was nicht die Mehrzahl der Anleger bedeuten muss) erzwingt. Ob das dann logisch ist oder nicht, ist eine ganz andere Frage.
Und kaum sind die Zahlen auf dem Tisch und unter den aktiven Akteuren ausgefochten, geht das Warten auf die nächsten wichtigen Ereignisse los … vor allem auf die EZB-Entscheidung kommenden Donnerstag. Wer sich so im realen Leben verhalten würde, würde als ziemlich komische Type eingestuft. An der Börse aber gelten eben andere Regeln – mit denen man jedoch problemlos klar kommen kann, wenn man sie erst einmal durchschaut hat.
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